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Zahlen und Erfahrungen aus dem Asylwesen

Fachtagung 2016 in Olten
 

«Die Lage ist volatil», sagt David Keller vom Staatssekretariat für Migration (SEM) über die Flüchtlingssituation. «Wer Menschen menschlich behandelt, wird belohnt», sagt Andreas Bolli, Leiter des Asylzentrums Riethüsli in St. Gallen. Mit zwei Referaten wurden die Anwesenden an der Fachtagung des SZSV in Olten am 3. Mai 2016 sowohl bezüglich Zahlen und Erwartungen wie auch mittels Erfahrungsbericht zum hochaktuellen Thema Asyl aufdatiert. Weitere Referate rundeten den interessanten, ganztägigen Anlass vor knapp 190 Besuchern ab.

Die statistischen Fakten, die David Keller, Leiter Empfangs- und Verfahrenszentren im SEM, präsentierte, gaben eine Übersicht zum vergangenen Herbst, als die Flüchtlingsströme über die Balkanroute die Zahl der Asylgesuche auch in der Schweiz massiv ansteigen liess. Die Schweiz steht im Jahr 2015 mit 39'523 europaweit an achter Stelle, was gegenüber den Vorjahren einem deutlichen Anstieg entspricht. Der prozentuale Anteil an Asylbewerbern in Europa ist jedoch von 3,8 Prozent (2014) auf 3,0 Prozent (2015) zurückgegangen und liegt sogar deutlich unter dem Wert von 2012 (8,2 Prozent).

Erstmals seien die Flüchtlinge auf zwei Kanälen in Westeuropa eingetroffen, über den Balkan sowie übers Mittelmeer, beleuchtete Keller die Situation im vergangenen Herbst. «In dieser Phase war für uns das Schwierigste, stets am Limit, am Rande des Krisenmodus zu arbeiten», erklärte Keller. Mit der Öffnung von Zivilschutzanlagen und Notschlafstellen, dem temporären Ausbau der Bundeszentren, dem Ausbau der Unterkunftskapazitäten auch in den Kantonen sowie mit beschleunigten Verfahren und verkürzten Erstbefragungen habe man den Zustrom bewältigen können.

«3000 bis 6000 Gesuche pro Monat können wir verkraften, bei mehr als 10'000 stossen wir an unsere Grenzen», lautet Kellers Einschätzung. Dass die ersten Monate dieses Jahres fast wieder zu Normalverhältnissen führten und aktuell in den Bundeszentren nur rund 60 Prozent der Plätze belegt sind, ändere nichts daran, dass die Entwicklung nicht vorhersehbar sei. «Wichtigster und entscheidender Faktor ist, ob und wie der Deal der EU mit der Türkei funktioniert», betonte Keller.

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Einblicke in den Alltag eines Asylzentrums

«Gut vorbereitet – doch es kam anders», zog Andreas Bolli sein Fazit aus dem halbjährigen Betrieb des Asylzentrums Riethüsli und seiner Tätigkeit als dessen Leiter (siehe auch Bericht in der Zeitschrift «Zivilschutz Schweiz» Nr. 02 / 2016). Bolli vermittelte mit Beispielen, wie ungewollte Ereignisse verhindern werden können oder wie man mit ihnen umgehen kann. «Die Hausordnung, mit klaren Spielregeln, ist ein sehr wichtiger Punkt», betonte Bolli.

Der Zentrumsleiter berichtete von der enormen Menge an Kleiderspenden und den zahlreichen Aktivitäten, die den Bewohnern von Firmen, Vereinen und Privaten offeriert wurden. «Es konnten Vorurteile abgebaut werden», sagte Bolli. Trotz dem allseits positiven Fazit ortete er auch Verbesserungsmöglichkeiten: «Die personelle Struktur sollte von Anfang an klarer sein. Zudem sollte der Zentrumsleiter die beigezogenen Partnerorganisation selber wählen können.» Dass er diese Aufgabe als Zentrumsleiter wieder einmal übernehmen würde, stiess bei den Anwesenden auf offene Ohren – die erste Anfrage aus dem Kreis der Zuhörerschaft folgte postwendend.

(Andreas Bolli gibt gerne unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Auskunft.)

Teamwork bei Tempo 1000

Eindrucksvoll und spannend die Ausführungen von Reto Amstutz, ehemaliges Mitglied und Solopilot der Patrouille Suisse. Der 38-Jährige war während 15 Jahren Berufsmilitärpilot und hat tausend Flugstunden mit der F/A-18 auf dem Buckel. Er gab Einblicke in die Geschichte der Patrouille Suisse und verstand es, mittels anschaulichen Worten, Bildern und Filmeinspielungen den Laien zu erklären, wie solch waghalsige Manöver mit derart klitzekleinen Abständen überhaupt möglich sind. Man muss sich das vorstellen: Bei Tempi von bis zu 1100 km/h sind die Flugzeuge im Verbandsflug mitunter mit Abständen von winzigen drei bis fünf Metern unterwegs. Ganz ironiefrei seine Feststellung, dass ein Fluchtweg «immer offen» sei, um Fehler abzufedern. «Kleine Fehler», wie er präzisierte.

Ganz entscheidend bei der Auswahl eines neuen Teammitglieds – man wird berufen, kann sich nicht einfach bewerben – ist das Vertrauen. Amstutz: «Die Fachkompetenz muss sowieso da sein und lässt sich weiter trainieren. Aber ein Neuer muss als Mensch hundertprozentig ins Team passen. Das ist entscheidend!» Nachvollziehbar auch, dass die Kommunikation am Boden zwar von einer extrem flachen Hierarchie geprägt ist, diese in der Luft dann aber «ausserordentlich autoritär» wird. «Wenn es in die Luft geht», so Amstutz, «gibt nur noch einer den Ton an!» Ein Highlight-Video rundete das Referat zu diesem faszinierenden Thema ab.

Leadership und Dirigieren

Erstaunlich die Parallelen, welche die international tätige Chor- und Orchesterleiterin Lena-Lisa Wüstendörfer nach dem leckeren Mittagessen im Hotel Arte aufzeigte. Parallelen zwischen ihrem Beruf als Dirigentin und der Arbeit als vorgesetzte Person. Sie weihte die Anwesenden an der Fachtagung in die fixe Hierarchie eines Orchesters ein, wo beispielsweise der Konzertmeister gleichzeitig «Abteilungsleiter der ersten Geige» ist, wie sie sagte. Oder der erste Flötist: Er wird laut der 33-Jährigen stets die ein bisschen schöneren und schwierigeren Soli spielen können als die anderen Flötisten. «Wird diese Hierarchie nicht eingehalten, sind schlechte Resultate programmiert», folgerte sie – und musste gar nicht erst explizit erwähnen, dass dies in anderen Bereichen, ob in Privatwirtschaft oder im Zivilschutz, ebenso ist.

Doch auch wenn die Musiker allesamt Profis seien, brauche man trotzdem noch einen Dirigenten oder eine Dirigentin: Am Beispiel von Carlos Kleiber zeigte sie auf, dass dieser von seinen Musikern nicht nur Wissen gefordert hat, sondern auch ihr Denken, ihre Ideen. Will heissen: Der Chef führt nicht permanent. Oder zumindest vordergründig nicht. Seine Macht, so Lena-Lisa Wüstendörfer, hänge auch davon ab, wie mächtig er seine Musiker zu machen bereit sei. Sie weiss: «Es lohnt sich, in die Leistungsbereitschaft seiner Leute zu investieren». Schon Karajan wusste: Der Schwächste bestimmt das Niveau und die Qualität.

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Lob von Flury für Guy Parmelin

Vom stellvertretenden Direktor Christoph Flury gabs wie immer brandaktuelle News aus dem BABS. So lobte er die ersten vier Monate der Zusammenarbeit mit dem neuen VBS-Vorsteher, Bundesrat Guy Parmelin. «Er hört zu, schenkt Vertrauen, ist interessiert und stellt Fragen», sagte Flury. Im Zuge der Reorganisation im VBS wird das BABS ab 2019 seine Büros im Verwaltungszentrum Guisanplatz haben, wo insgesamt 3000 Arbeitsplätze angedacht sind.

Die Auswertung des Reporting Zivilschutz 2014 liegt vor, Flury zitiert daraus. Zum Beispiel, dass die Anzahl Organisationen im Zivilschutz von 373 im Jahr 2009 auf noch deren 241 zurückgegangen ist. Per Stichtag werden 72866 aktive AdZS aufgelistet (2009: 75689), dies notabene bei einer Personalreserve von 61270 Leuten.

«Wir machen nicht die Revolution», lautet Flurys klares, nicht mehr überraschendes Fazit zur Umsetzung der Strategie Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+. Was das Leistungsprofil des künftigen Zivilschutzes betrifft, so geht man davon aus, dass 75000 AdZS zur Verfügung stehen werden. Teile der Formation, so Flury, sollen innert einer Stunde einsatzbereit sein, immerhin 45'000 Leute innert vier Tagen.

Die Kaderausbildung soll neu eine Grundausbildung von 10 Tagen umfassen. Danach ist für alle Kader ein praktiver Dienst – 5 Tage – geplant. Der WK soll mindestens 4 und maximal 21 Tage pro Jahr umfassen. Gemäss heutigem Stand soll das neue Gesetz am 1. Januar 2019 Gültigkeit haben.

Flury äusserte sich zu diversen anderen Fachthemen – und auch zu den aktuellen Flüchtlingsströmen in Europa. «Mittlerweile sind alle erwacht», sagte er. Erwacht, ohne genau zu wissen, was auf einen zukomme. Einige Szenarie zeigte er gemäss «Notfallplanung Asyl» auf einer Folie auf.

Der TK-Verantwortliche Martin Erb zeigte sich in Olten «hocherfreut» über den rekordverdächtigen Aufmarsch von knapp 190 Personen und erbat wie immer ein Feedback auf die Tagung selber. Wenn es gelinge, die fachtechnischen und methodischen Kompetenzen zu erweitern und die eigenen Netzwerke zu pflegen, so sei das Ziel der Fachtagung erreicht.

Die nächste Fachtagung findet am Dienstag, 23. Mai 2017 statt. Mit dem Ziel, dass dann auch Bundesrat Guy Parmelin vor Ort mit dabei sein wird.

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Download Präsentationen [PDF]

Informationen aus dem BABS (Christoph Flury, Stv Direktor BABS)

Referat Pier Riethüsli