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News

Fachtagung 2017

Themen, die aktueller nicht hätten sein können

Mehr als 200 Kaderleute an der Fachtagung des SZSV in Olten

Die weltweiten Bedrohungen standen im Zentrum des Auftritts von Bundesrat Guy Parmelin an der Fachtagung des Schweizerischen Zivilschutzverbandes (SZSV) in Olten am 23. Mai. Überhaupt bewiesen die Macherinnen und Macher in der Technischen Kommission ein überaus gutes Näschen bei der Planung: Die Themen «Cyber», «Strommangellage» oder «Nachrichtendienst» entbehrten – leider – nicht einem überaus aktuellen Hintergrund.

SZSV-Präsident Walter Müller war es vorbehalten, die mehr als 200 Zivilschutz-Kaderleute an der Fachtagung in Olten begrüssen zu dürfen. Er verdankte deren Arbeit und fügte an: «Sie sind wichtig!» In der Folge streifte Müller einige Themen aus dem eidgenössischen Parlament, wo er sich als Mitglied der SiK (Sicherheitspolitische Kommission) für die Belange des Zivilschutzes stark macht und dabei unter anderem schaut, dass trotz der notwendigen Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges eben auch finanzielle Mittel für andere Belange übrig bleiben. Dienstpflichtsystem, BZG-Revision oder die Rolle des Zivildienstes waren weitere Themen, auf welche der Verbandspräsident zu Beginn der Tagung einging. Walter Müller: «Es ist an uns, den Zivilschutz in eine moderne Zukunft zu führen. Angepasst an die aktuellen Herausforderungen, modern und zuverlässig – aber auch mit einem gewissen Stolz!»

Martin Erb als Verantwortlicher der Technischen Kommission verkündete die Rekordzahl von 216 Teilnehmenden, ging kurz aufs Programm der Fachtagung ein und durfte darauf hinweisen, dass man mit den gesetzten Themen aktueller kaum hätte sein können.

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Ab 50,2 Hertz wird es dunkel in Europa

Los gings mit Paul Niggli, Leiter Krisenmanagement und Stabschef bei Swissgrid. Strom, so Niggli, sei ein logistisches Gut und die Stromversorgung ein anspruchsvolles Metier. Fehle das Gut «Strom», so sei die Versorgung gefährdet. Er ging auf die Geschichte der Swissgrid und ihre Entwicklung von der Koordinationsstelle für den Betrieb des Schweizer Übertragungsnetzes bis hin zur Tätigkeit als Netzeigentümerin näher ein. Seit 2015 betreibt das Unternehmen mit 450 Mitarbeitenden und mittels zweier Leitstellen zentral das gesamte Netz. Aktuell werden dazu 12'000 Strommasten im ganzen Lande benötigt; pro Jahr zahlt ein Schweizer Haushalt 62 Franken für das Übertragungsnetz, also für Swissgrid. Für ein Unternehmen, welches, wie Niggli unterstrich, mit mehr als 140 Leitungen in benachbarte Länder eben explizit auch Teil des europäischen Netzes ist.

Die neue Energiesituation respektive die vielen Massnahmen, welche zur Reduktion des Energieverbrauchs führen, stellen die Marktteilnehmer vor entsprechende Herausforderungen. Wie Niggli eindrücklich darlegte, sind Stabilität und Kontinuität das A und O einer sicheren Stromversorgung. Und dafür ist Swissgrid besorgt. Massgeblich ist die Herstellung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch und damit die konsequente Einhaltung der Frequenz von 50 Hertz. Niggli: «Bei Netzunter- oder Netzüberlast leiten wir Sofortmassnahmen ein, um Ausgleich zu schaffen.» Für den Laien kaum vorstellbar: Bei 50,2 Hertz schalten sich laut Niggli viele Photovoltaikanlagen an – mit der Folge, dass dies mittels Strom aus Kraftwerken kompensiert werden muss, die kurzfristig hochgefahren werden müssen. Werden die 50,2 Hertz überschritten, wird es laut dem Experten schlicht «dunkel in Europa» ... !

In der Folge ging Paul Niggli in seinem sehr spannenden Referat auf die gekoppelten Strommärkte in Europa näher ein und die damit einhergehende Tendenz, dass die Schweiz ausgegrenzt wird. Er beleuchtete auch den Risikobericht «Katastrophen und Notlagen Schweiz», den das BABS erstellt hatte, aus seiner Warte. Seine Folgerung: Die Realisierung des geplanten strategischen Netzes 2025 ist mehr als notwendig! Geplant sind zusätzliche Transformatoren in Mühleberg, Beznau, Chippis und Romanel für den mittelfristigen Wegfall der Kernkraftwerke Mühleberg und Beznau.
Schliesslich erläuterte er die gesetzlichen Grundlagen für die Strombewirtschaftung und kam zum wenig überraschenden Schluss, dass ein längerer totaler Stromausfall im Lande mit allen Mitteln verhindert werden müsse. Dessen Kompensation, davon ist er überzeugt, sei schwierig – und kostspielig!

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Wenn Söldner-Truppen Programmierjobs machen

Das nächste Thema war nicht minder aktuell: Cyber. Referent war René Bodmer, Director Sales Cyber Security der RUAG Defence AG. «Das Hauptproblem sind meistens die Menschen», sagte Bodmer, und auch «Privates hat immer Auswirkungen auf das Unternehmen.» Er konfrontierte das Publikum der Fachtagung mit ebenso fachkundigen wie erschreckenden Details aus der Cyber-Kriminalität. «1994 gabs pro Stunde einen neuen Virus, 2011 einen pro Sekunde, und heute schätzt man knapp unter 900'000 neue und modifizierte Varianten von Schad-Software pro Tag.» Rund 90 Prozent davon entsprechen herkömmlicher Cyber-Kriminalität (Geldbeschaffung), 9,9 Prozent zielgerichteten Bedrohungen gegen Unternehmen, und 0,1 Prozent seien echte Cyberwaffen.

Bodmer zeigte anhand von Beispielen auf, wie sich Aktivitäten in den sozialen Medien auf die Sicherheit der eigenen Online-Systeme auswirken können, wie eine Webcam gehackt und genutzt werden kann, aber auch, wie Daten jeglicher Art beschafft und für kriminelle Handlungen eingesetzt werden können. «Söldner-Truppen, die wenig bis nichts über ihre Auftraggeber wissen, werden mit Programmier-Arbeiten betraut, und manchmal werden Angriffe über Jahre vorbereitet und stufenweise lanciert», erklärte Bodmer. Leicht nachvollziehbar war der von ihm erläuterte Fall eines Eindringens in die Datenverwaltung eines Katzenhotels, wo auf diesem Weg Adressen beschafft wurden. Weil dort vermerkt sei, ob sich ein Tier gerade im Heim befinde und die Besitzer in den Ferien weilen würden, gäbe dies ideale Anhaltspunkte für einen Einbruch. «Vieles ist mit viel zu wenig Aufwand zu haben, es ist wichtig, dass wir die Hürden für einen Angriff höher stellen», betonte René Bodmer.

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Des Bundesrats Dank an den Zivilschutz

Als Höhepunkt der diesjährigen Fachtagung gab sich hernach Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidg. Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), die Ehre. Parmelin betonte die zunehmende Wichtigkeit eines funktionierenden und professionalisierten Bevölkerungs- und Zivilschutzes und erinnerte an die jüngste, weltweite Hacker-Attacke, sind doch nach neusten Erkenntnissen mehr als 200’000 Computer in mindestens 150 Ländern von der Schadsoftware «WannaCry» befallen. Der VBS-Vorsteher ging auch auf die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten und in der Ukraine ein und stellte fest, dass die terroristische Bedrohung längst auch den Weg nach Europa gefunden hat. Nach Ansicht Parmelins wäre es falsch, zu glauben, dass unser Land nicht auch von solchen Anschlägen betroffen sein könnte; die Schweiz biete genügend potenzielle Ziele. Auch die nächste Grippe-Pandemie komme bestimmt – die Frage sei bloss, ob diese harmlos verlaufe oder aber katastrophal. «Die Unsicherheit in der Welt nimmt zu. Davon betroffen ist auch die Schweiz», lautete das Fazit des Bundesrats.

Angesichts all dieser Unsicherheitsfaktoren sei es umso wichtiger, dass man sich gezielt auf mögliche Ereignisse vorbereite, sagte Parmelin weiter. Zwar seien weder Katastrophen noch Notlagen oder terroristische oder kriegerische Bedrohungen völlig auszuschliessen, doch könne man den potenziellen Schaden durch Vorsorge und gute Vorbereitung so gering wie möglich halten. Just dies, bereit sein für den Ernstfall, sei die Aufgabe des Zivilschutzes. In der Folge ging der Bundesrat auf einige geplante Anpassungen im Rahmen der anstehenden Revision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes (BZG) näher ein. So soll die Kaderausbildung im Zivilschutz optimiert und es sollen gewisse Ungerechtigkeiten bezüglich Wehrpflichtersatz für Zivilschutzangehörige beseitigt werden. Guy Parmelin redete zudem – bei allem Verständnis und bei aller Unterstützung für bestehende föderalistische Strukturen – dezidiert einem einheitlichen, koordinierten und kooperativen Zivilschutz das Wort. «Eine gewisse Führung auf Bundesebene ist unabdingbar», sagte Parmelin.

Er dankte den Zivilschutz-Kaderleuten für ihren Einsatz im Dienste der Sicherheit für unser Land. «Ohne Sie wäre die Schweizer Bevölkerung weniger gut geschützt. Ohne Sie wäre die Schweiz weniger sicher», schloss der VBS-Vorsteher sein Referat. Er stellte sich hernach noch Fragen aus dem Plenum und erhielt von Martin Erb einige Präsente sowie das offizielle SZSV-Verbandsmesser überreicht.

Verdiente Ehrung für Gunnar Henning

Noch vor der Mittagspause wurde Gunnar Henning verabschiedet, der letztmals für eine Fachtagung mitverantwortlich gezeichnet hatte, tritt er doch nächstes Jahr aus dem Vorstand und der Technischen Kommission zurück. Martin Erb verdankte dessen Einsatz – und bat einen Überraschungsgast aus der Ostschweiz mit auf die Bühne: Hennings Gattin Elisabeth. Und weil diese gleich die Gitarre mitbrachte, konnte der Geehrte gar nicht anders, als zwei, drei Strophen des in Zivilschutzkreisen nicht gänzlich unbekannten Liedes «Die Müllerin …» zum Besten zu geben. Die Überraschung gelang, das Zivilschutzkader gab den Chor. Und danach gingen alle frohgemut zum Apéro.

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Die Lagebeurteilung ist entscheidend

Nach der Mittagspause, die nebst einem leckeren Essen auch die Gelegenheit zu Austausch und Networking bot, war die Reihe an Jürg Bühler, Vizedirektor Nachrichtendienst des VBS. Er stellte gleich zu Beginn klar, dass er natürlich nicht allzu detailliert auf Strategien und Organisation des Nachrichtendienstes eingehen könne – schliesslich gilt mehr denn je: Der Feind hört und liest mit. Hauptaufgabe des Nachrichtendienstes ist es, führungsrelevante Informationen für die Entscheidträger parat zu stellen – «und dies immer aus der Sicht der nationalen Sicherheit», wie Bühler unterstrich. Wenn man von Bedrohungen rede, sei damit stets die Absicht von Menschen gemeint, Schaden zufügen zu wollen. Er erläuterte die Rechtsgrundlagen – im September tritt ja das im vergangenen Jahr durch das Stimmvolk gutgeheissene neue Nachrichtendienst-Gesetz in Kraft – und betonte, dass letztlich nicht entscheidend sei, ob man im Rahmen einer Überwachungsaktion effektiv einen Terroristen überführe oder nicht – «entscheidend ist, ob wir unsere Lagebeurteilung richtig gemacht haben!»

Dass die unsichere Lage in der Weltpolitik nicht dazu beiträgt, dass der Nachrichtendienst weniger zu tun hat, versteht sich. Insbesondere die Reaktionen aus den USA seien aktuell schwierig abzuschätzen, sagte Jürg Bühler. Aktuell hat sein Dienst 90 Leute als sogenannte «Risikopersonen» eingestuft. Personen also, die nicht zwingend unmittelbar vor einem Anschlag stehen, bei denen aber gleich verschiedene Risikofaktoren zusammenkommen, was sie potenziell gefährlich erscheinen lässt.

Infos aus erster Hand

Wie immer an einer Fachtagung gabs am Ende auch Informationen aus dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) aus erster Hand. Christoph Flury als stellvertretender Direktor des BABS erläuterte den vorgesehenen Zeitplan für die BZG-Revision. Gemäss aktueller Planung wird der Bundesrat noch im Herbst 2017 die Vernehmlassung starten. Die Botschaft soll dann im Verlaufe des Jahres 2018 verabschiedet werden. Danach folgt die Behandlung des Gesetzes in den beiden Räten und auf den 1. Januar 2020 sollten Gesetz und Verordnung schliesslich in Kraft treten können.

«Mit dem neuen Gesetz wollen wir insbesondere die Koordination und Zusammenarbeit im Verbundsystem Bevölkerungsschutz ausbauen und stärken», sagte Flury. Das Kapitel «Bevölkerungsschutz» wird denn auch bis zu 30 Artikel umfassen – dreimal mehr als bisher. Für die bestehenden und geplanten neuen Telekommunikationssysteme des Bevölkerungsschutzes soll eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Dies gilt auch für den Bundesstab für bevölkerungsschutzrelevante Ereignisse. Durch eine einheitliche Ausbildungsdoktrin soll die Ausbildung im Bevölkerungsschutz optimiert werden. Im Weiteren soll die Koordinationsfunktion des Bundesamts für Bevölkerungsschutz BABS für das Gesamtsystem gestärkt werden.

Im Kapitel «Zivilschutz» soll eine neue, flexible Dienstleistungsdauer festgeschrieben werden. Damit Unterbestände in einzelnen Kantonen besser ausgeglichen werden können, soll die interkantonale Zuweisung von Schutzdienstpflichtigen vereinfacht werden. Für die Festlegung der Wehrpflichtersatzabgabe sollen den Schutzdienstpflichtigen künftig sämtliche geleisteten Diensttage angerechnet werden. Damit wird eine von Bundesrat und Parlament gutgeheissene Motion von Nationalrat Walter Müller erfüllt.

News konnte der stellvertretende BABS-Direktor auch in Sachen Materialforum verkünden: Dieses soll ab 1. Januar 2020 im Auftrag der Kantone vom Bund betrieben werden. Das BABS übernimmt die Federführung bei der Ausschreibung, Evaluation und Beschaffung von Zivilschutzmaterial. Das Lager soll im Kanton Zürich bleiben. «Wir werden von Seiten des Bundes alles daran setzen, damit die Qualität bei den Beschaffungen hoch bleibt», versprach Flury in Olten. Für das BABS bleibe die enge Zusammenarbeit mit den Kantonen dabei immer das oberste Gebot. Durch Nutzen von Synergien, Koordination mit Beschaffungsprozessen der Armee und grösseren Mengengerüsten soll die Neuorganisation auch kostenmässig für alle vorteilhaft sein.

Noch offen ist, wie es bezüglich Schutzbauten in den Kantonen weitergeht. Ein gravierendes Problem besteht insbesondere im Bereich der sanitätsdienstlichen Schutzanlagen: Die medizinischen Einrichtungen in diesen Bauten sind mitunter komplett veraltet. Und für den Betrieb fehlt das erforderliche medizinisch geschulte Personal, weil der Zivilschutz keinen Sanitätsdienst mehr kennt. Hier besteht ein Defizit, das dringend behoben werden muss.

In der Gesamtsicht, so zeigte sich Flury überzeugt, wird das Schweizer Bevölkerungsschutzsystem mit der geplanten Gesetzesrevision in wesentlichen Punkten weiterentwickelt und besser auf die heutigen Gefahren und Risiken ausgerichtet.

An Martin Erb war es schliesslich, nach sechs überaus informativen und stimmigen Stunden allen Involvierten und speziell seinem TK-Team herzlich zu danken. Zum Vormerken: Die nächste Fachtagung findet am 8. Mai 2018 statt – höchstwahrscheinlich wieder in Olten.


Die Präsentationen

Nachfolgend die Referate von Paul Niggli zum Thema «Strommangellage» und von René Bodmer zum Thema «Cyber» zum Download in deutscher und französischer Sprache [PDF].

Das Referat von Jürg Bühler, Vizedirektor Nachrichtendienst des VBS, dürfen wir aus Sicherheitsgründen nicht aufschalten.

René Bodmer, RUAG Defence
Cyber Security – Alles im Griff? / Cybersécurité: tout est sous contrôle?

Paul Niggli, swissgrid
Strommangellage / Pénurie d’électricité